Der Einfluss des Objektivs auf das Bildresultat

 

Hat die Wahl des Objektivs einen grösseren Einfluss auf das Bildresultat wie ein paar Megapixel mehr oder weniger?

Diese Frage stand nach dem grossen High-End-Kameratest, den ich zusammen mit meinem Freund Christian Habermeier durchgeführt habe, im Raum. Theoretisch ist es klar, dass die Objektivwahl einen Einfluss haben wird. Doch wie gross ist er? Dieser Frage wollte ich nachgehen, und durch glückliche Umstände konnte ich fünf ganz verschiedene Objektive im Brennweitenbereich von 70/75 mm testen. Vielen Dank an dieser Stelle an Leica Camera AG Schweiz und Foto Vision Zumstein für die Leihobjektive und ebenfalls ein grosses Dankeschön an Iris Michel, Eva Küng, Simone Meylan und Sam Bregenzer.

Die 75 mm Brennweite ist aus meiner Sicht sehr spannend. Ein 75er kann man einerseits als Normal-, aber auch als Portraitbrennweite einsetzen. Das macht es sehr universal. Dank den hohen Auflösungen der heutigen Sensoren kann man beispielsweise mit einem 28 mm oder allenfalls 35 mm und einem 75er sehr viel abdecken, weil man durch Beschneiden des Bildausschnitts auch noch andere Brennweiten «simulieren» kann. Aus einem Bild mit einem 35 mm Objektiv den Ausschnitt eines 50ers zu nehmen oder eben aus einem Bild mit einem 75er einen Ausschnitt zu wählen, der einem 90er entspricht, ist bei Kameras mit bis zu 50 Megapixeln problemlos möglich.

Die Protagonisten

 
 
20210711_75mm-test_L1200153.jpg

Ich habe den Test mit meiner Leica SL2 durchgeführt, deshalb sind alle Objektive direkt oder über Adapter an den L-Mount koppelbar. Gestartet sind, von links nach rechts:


01 // voigtländer 75 mm / 1:1,5 nokton vm (asphärisch)

Brennweite: 75 mm
Baulänge: 63.3 mm
Anzahl Linsen: 7 Linsen in 6 Gruppen
Grösste Blende: 1.5
Kleinste Blende: 16
Naheinstellgrenze: 0.7 m
Filterdurchmesser: 58 mm
Fokus: manuell
Gewicht: 350 g
Preis: CHF 998
Besonderes: sehr attraktives Verhältnis von max. Blende / Gewicht / Preis

02 // leica summarit-s 1:2.5/70 asph. (cs)

Brennweite: 70 mm
Baulänge: 93 mm
Anzahl Linsen: 8 Linsen in 6 Gruppen
Grösste Blende: 2.5
Kleinste Blende: 22
Naheinstellgrenze: 0.5 m
Filterdurchmesser: 82 mm
Fokus: Autofokus
Gewicht: 740 g
Preis: CHF 4640 (normale Version) CHF 6030 (CS-Version mit eingebautem Verschluss)
Besonderes: das Objektiv ist für den (grösseren) Leica S-Sensor konstruiert und hat deshalb einen grösseren Bildkreis


03 // Sigma 70mm f2,8 DG Macro

Brennweite: 70 mm
Baulänge: 70,8 mm
Anzahl Linsen: 13 Linsen in 10 Gruppen
Grösste Blende: 2.8
Kleinste Blende: 22
Naheinstellgrenze: 0.258 m
Filterdurchmesser: 48 mm
Fokus: Autofokus
Gewicht: 605 g
Preis: CHF 648
Besonderes: Makro

04 // Leica Noctilux-M 1:1.25 75 mm Asph

Brennweite: 75 mm
Baulänge: 91 mm
Anzahl Linsen: 9 Linsen in 6 Gruppen
Grösste Blende: 1.25
Kleinste Blende: 22
Naheinstellgrenze: 0.85 m
Filterdurchmesser: 67 mm
Fokus: manuell
Gewicht: 1055 g
Preis: CHF 13 860
Besonderes: lichtstärkstes 75mm, das es gibt


05 // Leica Apo-Summicron-SL 1:2/75 Asph

Brennweite: 75 mm
Baulänge: 102 mm
Anzahl Linsen: 11 Linsen in 9 Gruppen
Grösste Blende: 2.0
Kleinste Blende: 22
Naheinstellgrenze: 0.5 m
Filterdurchmesser: 67 mm
Fokus: Autofokus
Gewicht: 720 g
Preis: CHF 5350
Besonderes: Weitere Objektive mit gleichem Gehäuse und gleicher Maximalblendenöffnung und Charakteristik verfügbar (aktuell 28/35/50/75/90 mm, in Planung 21/24 mm)


Die Testidee

Wie immer bei meinen Tests geht es auch diesmal darum, das Equipment in der Praxis zu testen. Am Test-Wochenende stehen einige Shootings an: Portrait einer befreundeten Malerin, ein Fotoshooting mit dem 1969er Dodge Charger R/T 440 Magnum meines Freundes Sam plus zwei weitere Portraitshootings. Nebst der Kamera-/Objektivkombination, die ich normalerweise einsetze, realisiere ich einige Bilder, bei denen ich eine Motiveinstellung mit allen Testobjektiven durchfotografiere. Ich habe keine Extremst-Gegenlichtsituationen oder ähnliches realisiert, aber ich denke, man kann die Charakteristiken der fünf Objektive ganz gut einschätzen.

Bevor ich auf die einzelnen Linsen eingehe, sind hier vier Testtableaus zu sehen, bei denen Du Ausschnitte aus den Aufnahmen siehst, die ich mit allen Objektiven realisiert habe. Dabei habe ich in drei Testsituationen mit voll offener Blende gearbeitet. Die maximale Blendenöffnung ist natürlich unterschiedlich, aber die hohe Lichtstärke ist ein wesentliches Kriterium beim Kauf eines Objektivs. Es hätte aus meiner Sicht keinen Sinn gemacht, wenn ich all die Lichtriesen auf Blende 2.8 heruntertemperiert hätte. Gerade das sündhaft teure Noctilux soll und muss seine Vorzüge ausspielen können:


Testtableau 1
Cockpit des Dodge Charger R/T 440 Magnum

 
Alle Bilder sind unbearbeitet

Alle Bilder sind unbearbeitet

 

Testtableau 2
Feigenbaumblätter

Alle Bilder sind unbearbeitet

Alle Bilder sind unbearbeitet

 

Testtableau 3
Eva

Alle Bilder sind unbearbeitet.

Alle Bilder sind unbearbeitet.

 

Testtableau 4
Iris

Alle Bilder sind unbearbeitet

Alle Bilder sind unbearbeitet


 

Praxisnotizen zu den einzelnen Objektiven

01 // Voigtländer 75 mm / 1:1,5 Nokton VM (asphärisch)

Ich hätte ein Objektiv mit einer so hohen Lichtstärke grösser und schwerer erwartet. Das Nokton ist gerade mal 350 g schwer und preislich in einem Rahmen, den man so auch nicht erwarten würde. Persönlich finde ich, dass das Objektiv einen extrem guten Gegenwert für die knapp 1000 Franken bietet. Auch bei offener Blende ist die Leistung sehr gut. Es zeichnet etwas härter als das Leica Noctilux, aber weicher als die anderen Objektive. Von daher ist es ein ideales Portraitobjektiv, das man, gerade weil es so klein ist, einfach mal noch mitnehmen kann. Das präzise manuelle Fokussieren war für mich eine Herausforderung. Bei voll offener Blende habe ich doch ziemlich viel Ausschuss produziert. Manche Bilder waren nicht viel daneben und könnten auf allen elektronischen Kanälen (Facebook, Instagram usw.) problemlos publiziert werden, und auch ein A4-Print wäre von vielen noch möglich. Aber mein Anspruch ist, dass ich die Schärfeleistung eines Objektivs voll ausnütze, und da ist meine Fehlerquote bei den manuell fokussierbaren Objektiven deutlich höher als bei den AF-Modellen. Vielleicht ist es Übungssache. Ich füge zu jedem Objektiv ein bearbeitetes Bild an, denn das ist ja normalerweise das, was man mit Fotos macht. Man bearbeitet sie, bevor man sie veröffentlicht oder printet. Beim Nokton habe ich ein Bild aus der Serie von Iris gewählt. Mit voll offener Blende ergibt sich ein schönes Bokeh, und die etwas weichere Zeichnung ist top für das Portrait von der grossartigen Künstlerin.

 

Bearbeitetes Bild
Voigtländer 75 mm / 1:1,5 Nokton VM, 1/50 sec, f 1.5, 200 ISO, Tageslicht


 

02 // Leica Summarit-s 1:2.5/70 Asph. (CS)

Ich gebe zu, das Summarit S 70 mm ist ein wenig ein Exote in dieser Testreihe. Es ist nämlich für den grösseren Sensor der Leica S konstruiert. Vom Mittelformattest her war ich aber von der Kombination der S mit dem 70er sehr begeistert. Und so konnte ich nicht widerstehen und montierte ein S 70er mit einem Adapter an meine Leica SL2. Und ich wurde nicht enttäuscht. Meines Erachtens hat dieses Objektiv eine unaufdringliche Schärfe, nicht so «laut» wie das SL 75 (dazu später mehr), aber doch akzentuierter als das Noctilux aus der M-Serie. Und jetzt kommt genau das, was so faszinierend ist: Jede/r Fotograf/in wird ihren/seinen Stil entwickeln. Persönliche Vorlieben und auch die Motive werden die Wahl des Objektivs beeinflussen. Unter Umständen kann man aber mit einem Objektiv nicht alles abdecken und «gönnt» sich zwei Objektive derselben Brennweite, um eben beispielsweise einen etwas weicheren und etwas härteren Wiedergabestil zu erreichen. Oder aber man greift auf ein manuell fokussierbares, hoch öffnendes Objektiv plus eine Autofokus-Linse mit weniger hoher Öffnung zurück. Und und und … Für meine Art der Fotografie ist das Summarit S die ideale Portraitlinse. Kleine Randbemerkung: Auf der Leica S3 performt das Objektiv noch etwas besser, und Oberflächen werden noch nuancierter dargestellt.

Das Bild, das ich für das Leica Summarit S ausgewählt habe, stammt aus der Serie, die ich mit Eva realisiert habe. Spontan hat sie angefangen, in ihren Haaren zu wuscheln, und vor lauter Wuscheln musste sie so lachen. Und genau diesen Moment habe ich einfangen können. Sie hat das Bild unterdessen auf Instagram und Facebook gepostet und mir geschrieben, sie hätte noch nie so viele positive Reaktionen auf ein Foto von ihr erhalten. Ich nehme das als Kompliment ;-).

 

Bearbeitetes Bild
Leica Summarit-S 1:2.5 / 70 ASPH / 1/100 sec, f 8.0, 200 ISO, Blitz


 

03 // Sigma 70mm f2,8 DG Macro

Das Sigma-Objektiv ist das günstige im Test. So verwundert es nicht, dass es von der Fertigungsqualität nicht auf dem Level der anderen Objektive ist. Ich habe es vor einiger Zeit gekauft, weil der Makrobereich beim L-System noch etwas im Dornröschenschlaf liegt. Und ich muss sagen: Trotz des günstigen Preises liefert das Sigma eine sehr gute Qualität, und ich kann es jedem empfehlen, der im L-System ein Makro-Objektiv benötigt. Die Lichstärke ist mit 2.8 die niedrigste im Testumfeld, dafür mach das Sigma alles mit der tiefen Naheinstellgrenze wett. Ein Objektiv, das ehrliche Resultate zu einem sehr vernünftigen Anschaffungspreis liefert.

Das Bild, das ich als bearbeitetes Foto für das Sigma-Objektiv ausgewählt habe, ist ein Stilleben aus Iris’ Atelier.

 

Bearbeitetes Bild
Sigma 70mm F2.8 DC Macro, 1/80 sec, f 4.0, 200 ISO, Tageslicht


 

04 // Leica Noctilux-M 1:1.25 75 mm Asph

Das M-Noctilux ist in mancher Hinsicht jenseits von allen normalen Grenzen: Dank seiner maximalen Blendenöffnung von 1.25 (das lichtstärkste 75er der Welt) bietet es die Möglichkeit, minimalste Schärfenräume zu realisieren. Trotz dieser Leistung ist es unglaublich kompakt. Dass wahnsinnig viel in dem kleinen Gehäuse steckt, realisiert man, wenn man das Objektiv in die Hand nimmt: Es bringt über ein Kilogramm auf die Waage. Schon bei voll offener Blende bringt das Noctilux eine enorme Schärfenleistung, die sich subjektiv mit Abblenden noch etwas steigert. Es hat eine unaufdringliche Schärfe, die man bei Bedarf in der Postproduktion noch anheben kann. Als bearbeitetes Bild habe ich ein Foto von Sams Dodge bei der Flughafenpiste ausgewählt. Dank voll offener Blende hebt sich der Oldtimer wunderbar vom Umfeld ab. Selektiv habe ich die Schärfe im Bereich des Autos noch ein wenig angehoben. Keinesfalls darf man über das ganze Bild machen, denn sonst zerstört man das Bokeh des Noctilux. Auch bei diesem Objektiv gilt: Bei voller Öffnung hatte ich gerade bei Portraits trotz Fokus Peaking eine relativ hohe Quote, bei denen ich die Schärfe nicht ganz exakt positionieren konnte. Das sind oft Abweichungen im Millimeter-Bereich. Da ist dann beispielsweise die Wimpernspitze des Models anstatt das Auge scharf.

 

Bearbeitetes Bild
Leica Noctilux M 1:1,25 / 75 ASPH, 1/1000 sec, f 1.25, 50 ISO, Tageslicht


 

05 // Leica Apo-Summicron-SL 1:2/75 Asph

Die Leica SL-Festbrennweiten mit der Anfangsöffnung 2.0 haben einen ganz besonderen Look. Ich besitze das 35er und 90er und bin ein grosser Fan dieser Objektive. Ich kenne im Kleinbildbereich kein anderes Objektiv, das im fokussierten Bereich eine solche Schärfe liefert. Knackig und präzis zeichnet es jedes kleinste Detail. In der Unschärfe ist es nicht ganz so weich wie beispielsweise das Noctilux. Das ist wahrscheinlich konstruktionsbedingt und natürlich auch, weil sich die Anfangsblende nicht über 2.0 hinaus öffnen lässt. Hier hat Leica bewusst zugunsten der Kompaktheit auf eine grössere Blendenöffnung verzichtet. Weil das Apo Summicron SL 75 aber im Schärfebereich einen so knackigen Eindruck abgbibt, ist das Gefälle zwischen Schärfe und Unschärfe grösser als man es bei einer Blendenöffnung von 2.0 erwartet. Bei Portraitaufnahmen, bei denen man nicht unbedingt jedes Detail sehen sollte, ist das Apo Summicron SL unter Umständen nicht die richtige Wahl. Aber wenn es schärfemässig «knallen» darf, ist diese Linse in ihrem Element.

Ganz bewusst habe ich als bearbeitetes Bild ein Motiv aus dem Shooting mit Simone gewählt. Spontan haben wir mit ihrem Audrey-Hepburn-Shirt eine Bubble-Gum-Session gemacht. Das harte Licht aus meinem Profoto B1und die kristallklare Schärfe des SL 75 passen meines Erachtens hervorrgand zusammen. Es ist ein eher «lautes» Objektiv, und auch das passt zum Bildmotiv.

 

Bearbeitetes Bild
Leica Apo-Summicron-SL 1:2 / 75 ASPH / 1/250 sec, f 10, Blitz


 

Die grosse Frage nach der Auflösung

Ich habe schon mehrere Male darauf hingewiesen, dass ich eine Angabe der Hersteller bezüglich Auflösung der Objektive vermisse. Von Leica weiss ich, dass grosser Aufwand getrieben wird, um die Auflösung zu maximieren. Vor rund sechs Jahren haben Urs Tillmanns und ich diesbezüglich im Leica Headquarter in Wetzlar angeklopft. Die Quintessenz unseres Besuchs war – aus meiner Laiensicht formuliert: Die Auflösung eines Objektivs wird in Linienpaaren pro Millimeter angegeben. Dieser Wert lässt sich offenbar nicht einfach so 1:1 in Megapixel umzurechnen, aber man könnte durchaus eine Grössenordnung errechnen, wie viele Megapixel ein Objektiv in etwa auflöst.

Wenn jeder Hersteller sich verpflichten würde, die Auflösung in Linienpaaren pro Millimeter anzugeben, könnte man grosse Preisunterschiede unter Umständen besser nachvollziehen. Denn es ist natürlich ein Humbug, wenn man sich eine 50-Megapixel-Kamera kauft und die Auflösung der Objektive liegt nur bei 30 Mpx. Oder umgekehrt: Wer mit einer Kamera von 24 Megapixeln fotografiert und weiss, dass sie/er nie mehr Auflösung braucht, der muss keine Objektive kaufen, die 50 Mpx auflösen.

Schlussfazit

Das Objektiv hat einen nicht unwesentlichen Einfluss auf das Bild. Wer seine Objektive kennt, weiss, wie sie/er sie einsetzen muss, wo die Schwächen und wo die Stärken liegen. Von Leica weiss ich, dass sich die Firma sehr bemüht, dass Objektive verschiedener Brennweiten mit möglichst gleichem Wiedergabecharakter zur Verfügung stehen. Ich gehe davon aus, dass andere Hersteller das auch so handhaben. Wenn man einmal eine Serie von Objektiven hat, die alle eine ähnliche Bildwirkung haben, kann man damit sehr gut arbeiten. Meine «Arbeitslinsen» sind ganz klar die SL-Festbrennweiten mit Schwerpunkt auf den beiden Festbrennweiten mit 35 und 90 mm. Wenn es der Geldbeutel zulässt, kann man sich zusätzlich durchaus einmal noch ein Objektiv mit einem anderen Charakter gönnen und dieses dann bewusst einsetzen.

Allerdings, und das ist einerseits ein Wermutstropfen, andereseits aber auch tröstlich: Auch das beste Objektiv macht aus einem mittelmässigen Bild kein Hammerfoto.

;-)


 
Zurück
Zurück

Fotoshooting für Leonie Küng und KIA

Weiter
Weiter

Feedbacks vom Einsteigerfilmkurs